Zehn Jahre Malkreis Tiengen
»Als mich Herr Eipper vor einigen Wochen anrief und mich bat,
heute anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Malkreises Tiengen über alles, nur nicht über fünfzehn Minuten zu reden,
erwähnte er nebenbei, dass es nützlich und tunlich sei, wenn ich auch am 1. Oktober zum Hängen in die Kaplanei ins Tiengener Schloss käme.
Zwar konnte ich mir darunter Konkretes nicht vorstellen, doch entschied ich mich – für Neues stets aufgeschlossen – gleichwohl dorthin zu gehen.
Kaum angekommen, erfuhr ich, dass versehentlich nicht auf den 8., sondern auf den 1. Oktober zur Vernissage eingeladen worden war.
An dem Irrtum gab es keinen Zweifel, denn zahlreiche Kunstinteressierte waren von der geschmackvollen Einladung angelockt worden und erschienen.
Herr Eipper begrüßte die Gäste auf das Freundlichste und erteilte mir dann das Wort zu einer kleinen Rede.
Unvorbereitet und mit Schweißperlen auf der Stirn kam ich seinem Wunsche nach.
Seit diesem Augenblick weiß ich konkret, was es heißt, zum Hängen in die Kaplanei zu kommen.
So kam und komme ich in den wohl einmaligen Genuss, bei zwei Vernissagen derselben Ausstellung eine Rede reden zu dürfen.
Das weiß ich zu schätzen. Nur quälte mich anfangs die Frage, die sich jeder korrekte Beamte und Richter vorlegt, wenn er eine ihm neue Sache anpackt:
"Warum gerade ich?"
Meine Aktivitäten und Verdienste auf dem Gebiet der Kunst sind nämlich bis heute bescheiden und beschränkten sich
in meiner Sturm- und Drangzeit darauf, zusammen mit Freunden eigene Werke und Gedichte von Ungaretti zu verlegen
und bei einem Herstellungspreis von 6,00 DM pro Band für 4,80 DM zu vertreiben, in der Erwartung, dass es die Masse bringt.
Ganz unproduktiv war ich bislang im Bereich der bildenden Künste. Ich habe – von meiner Schulzeit abgesehen – weder
etwas gemalt noch etwas gezeichnet; und wenn unter meinen Urteilen jeweils steht "gezeichnet Klein", so ist dies in hohem Maße missverständlich.
Einer Antwort näher hinsichtlich meiner Kompetenz brachte mich ein Blick in die Liste der Redner bei früheren Ausstellungen des Malkreises,
handelte es sich doch fast durchweg um Juristen, was den Schluss nahelegt, dass Maler und Juristen im hiesigen Raum sich eng verbunden fühlen.
Die Wurzeln dieses Phänomens fand ich dann in der Stadtgeschichte Tiengens von Herrn Völlner.
Danach gab es in Mittelalter am Langen Stein an der Wutach sowohl eine Mal- als auch eine Gerichtsstätte des Kaiserlichen Landgerichts im Klettgau.
Bei eigenwilliger, historische Erkenntnisse meidender Interpretation des Begriffes "Malstätte" liegt hier ganz offensichtlich
der Ursprung guten Einvernehmens zwischen Malern und Juristen in Tiengen.
Wenn nun Juristen über Malerei reden, dann fühlen sich die Zuhörer zuweilen an das Schwert Karls des Großen erinnert.
Das aber war lang, flach und tödlich. Um im Bild zu bleiben: Das Verhältnis der Juristen zur Kunst, zur Malerei ist zweischneidig.
Privat begeisterte Liebhaber – ich meine Kunstliebhaber – haben sie – wenn es gilt, Recht zu sprechen – sehr häufig Schwierigkeiten,
das lebendige Kunstwerk mit der spröden Jurisprudenz zu packen.
Das zeigte sich wieder in jüngster Zeit in einem Zivilprozess um die berühmte Badewanne von Joseph Beuys.
Sie kennen sicherlich diesen Fall und werden ihn hoffentlich nach meiner – aufgrund der Informationen eines kunstinteressierten
ehemaligen Referendars – angereicherten Sachverhaltsschilderung auch wiedererkennen.
An einem tristen Novembertag hatten sich die Damen des SPD-Stadtfrauenrings im Konferenzsaal des städtischen Museums
in Leverkusen zusammengefunden. Ein "Fässken Kölsch" sollte den grauen politischen Alltag vergessen lassen und linke Frohnaturen ins rechte Fahrwasser bringen.
Das Bier, in dumpfer Museumsluft nur lauwarm temperiert, bedurfte geeigneter Kühlung.
Ein passendes Gefäß war bald gefunden: im Nebenraum stand eine alte Badewanne, die wohl bei Renovierungsarbeiten in Haus dort vergessen worden war;
überhaupt schien in diesem Nebenraum, der durchaus das Zeug zu einem ansprechenden Saal hatte,
so einiges Gerümpel vergessen worden zu sein. Die Badewanne erwies sich geradezu als Glücksfall.
Was die wackeren Frauen jedoch in diesem Glücksfall erblickten, verschlug ihnen allen die Sprache und mancher den Durst auf das – gekühlt – leckere Kölsch.
Der letzte Badegast, sicherlich einer von diesen bärtigen Künstlern, die – wie man weiß – es mit der Sauberkeit nicht allzu ernst nehmen,
hatte nach einer offensichtlich mehr als dringend gebotenen Waschung die Wanne in einem Zustand zurückgelassen,
die jeder Beschreibung spottete. Der rheinische Sauberkeitssinn gebot es, dem Chaos ein rasches Ende zu bereiten und Ordnung einkehren zu lassen.
Entfernt wurden Mullbinden, schmuddelige Pflaster und ein gutes Pfund Fett. In die notdürftig gesäuberte Wanne wurde Wasser eingelassen, darin das Fass gekühlt.
Nach ein paar Gläschen vom Obergärigen war der Vorfall für die reinlichen rheinischen Frauen bald vergessen, nicht aber für den Rat der Stadt Wuppertal.
Dieser wurde von dem Sammler, dem die Wanne gehörte, in der Joseph Beuys einst im Säuglingsalter gebadet hatte,
und die er selbst später mit Mull, Heftpflaster und einem Pfund Sanella – der Feinen – verziert hatte, verklagt.
Auf Schadensersatz: 80.000 DM. Die Stadt Wuppertal wurde verurteilt.
Das Landgericht meinte, der situationsbezogene Verfremdungseffekt, den die Materie – die Wanne – während des Schaffungsaktes erfahren habe,
sei bei Aktionswerken unwiederholbar, das in einem einmaligen Schöpfungsakt entstandene Werk nicht restaurierbar.
Die Stadt Wuppertal habe jedoch einen Anspruch auf Herausgabe der zweckentfremdeten Badewanne.
Ob die Stadt Wuppertal diesen Anspruch geltend gemacht und die Wanne eventuell dem Frauenring zur Verfügung gestellt hat,
war nicht zu erfahren. Soviel über Kunst und Juristen.
Zehn Jahre Malkreis Tiengen. Zehn Jahre: eine lange Zeit. Doch hier stock' ich schon.
Zehn Jahre könnten – gemessen an der Geschichte anderer Vereinigungen – auch eine kurze Zeitspanne sein.
Sie kennen alle den Versuch einer Abgrenzung. Drei Haare in der Suppe sollen relativ viel, drei Haare auf dem Kopf aber relativ wenig sein.
Der Festredner der diesjährigen Waldshuter Chilbi hat – absichtlich oder versehentlich – diese gesicherte Erkenntnis in Frage gestellt.
Nach seiner Meinung sind drei Haare in der Suppe relativ viel, drei Haare auf dem Kopf aber auch relativ viel.
Diese neue Waldshuter Relativitätstheorie hat mich nach langem Grübeln dazu gebracht, mich einer verbindlichen Bewertung der zehnjährigen Existenz
des Malkreises Tiengen zu enthalten. Dies schien mir dann im Hinblick auf die Relativität diesbezüglicher Aussagen absolut richtig.
Am Anfang des Malkreises war das Wort, das Wort von Ulrich Christoph Eipper, und wer zuerst kam, malte zuerst.
Wohl so wie der Meister; manche versuchten, ihm nachzueippern. Anfangs allein und ausschließlich in Öl.
Vielleicht kam es dann eines Tages zu einer Ölkrise. Aquarelle, Pastelle, Lithographien, Radierungen, Graphiken entstanden.
Die Werke wurden differenzierter, gewichtiger, anspruchsvoller, und als ich vor acht Tagen zum Hängen in die Kaplanei kam,
fiel mir beim Betrachten der Bilder das Zarathustra-Kapitel von den drei Verwandlungen ein. Darin hat Nietzsche die drei Stadien geschildert,
die jeder, der sich zu eigenem Schaffen und innerer Selbständigkeit entwickelt, durchlaufen muss.
"Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: Wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe".
Das erste Stadium ist gekennzeichnet durch die Abhängigkeit von Persönlichkeiten und Vorbildern, durch das bereitwillige Sich-unter- und einordnen.
Dann reißt er sich los von dem, was ihn bislang band und fesselte. Und schließlich wird die Freiheit von dem ihn lange Zeit Beherrschenden
im dritten Stadium zu einer Freiheit zu eigenem selbständigem Schaffen.
Wer in den letzten Jahren die Entwicklung des Malkreises Tiengen aufmerksam verfolgt hat, wird feststellen müssen,
dass sich ähnliche Verwandlungen vollzogen haben, dass die Bilder mehr und mehr Ausdruck eigener Individualität geworden sind.
Gemeinsam ist den Bildern der Mitglieder des Malkreises aber heute noch eines:
Das Verbundensein mit dem Gegenständlichen, insbesondere mit dem Menschen und der Landschaft.
Vielleicht hallen hier noch die von Herrn Eipper 1967 anlässlich einer Ausstellung in der Oberen Kirche in Zurzach gesprochenen Worte nach:
"Die Abstrakten verbauen dem Künstler den Weg zum Mitmenschen; sie vertreiben das Menschliche aus der Malerei,
zerstören des Menschen Bild ebenso wie das der Landschaft".
Nun lässt sich eines nicht leugnen: Obwohl wir jetzt gar einen Oberbürgermeister und neuerdings auch Verkehrsampeln haben,
leben wir in der Provinz. Unsere Vernissagen unterscheiden sich von denen in den Kulturzentren, wo man zuweilen an das Bibelwort
"…und sie irrten ziellos umher und trugen gar bunte Gewänder" erinnert wird.
Mit den Unterschieden in den Vernissagen muss aber nicht zwangsläufig ein Unterschied in der Qualität der Bilder verbunden sein.
In der Provinz Entstandenes braucht nicht provinziell zu sein. Ich vermisse hier etwas den Mut der Kritiker,
Zuhörer und Betrachter, Gutes bedingungslos gut und Schlechtes schlecht zu nennen. Oftmals anerkennen wir einen Künstler aus dem Hochrheingebiet erst dann,
wenn er die höheren Salzburger, Wiener oder Berliner Weihen erlangt hat.
Vielleicht fehlt es aber auch zuweilen nicht nur am Mut, sondern auch am notwendigen Sachverstand.
Hier lägen die Aufgaben einer Tiengener Malstätte, sei es nun im alt- oder neuhochdeutschen Sinne, einer Stätte,
die eine Gelegenheit eröffnet zur Begegnung mit Werken von einheimischen und guten auswärtigen Malern.
Durch den unmittelbaren Vergleich würde der Sachverstand der Betrachter für die gute künstlerische Gestaltung geschärft
und möglicherweise der Nachweis erbracht, dass die im Hochrheingebiet geschaffenen Bilder (zumindest teilweise)
durchaus dem in anderen Breitengraden entstandenen ebenbürtig sind. Wäre dann erst einmal die Unsicherheit bei der Bewertung ausgeräumt,
so würde auch das Interesse am Erwerb eines Bildes wachsen.
Zwar schießen bislang im Hochrheingebiet die Bilder wie Pilze aus dem Boden, doch hat es den Anschein,
als ob es auch auf diesem Gebiet ein vom Regierungspräsidium verordnetes Sammelverbot gäbe.
Aquarelle, Lithographien, Ölbilder und Graphiken werden nicht oder kaum gekauft, allenfalls bei Versteigerungen erworben.
Und so muss man bislang als Maler Trost finden in dem Wort von Karl Kraus: "je größer der Stiefel, desto größer der Absatz" und daraus schließen,
dass Gutes eben nur schwer verkäuflich ist.
Mangels manueller Fähigkeiten ist es mir leider nicht möglich, Herrn Eipper ein Kränzchen des Dankes zu winden.
So bleibt mir nur, ihm und Herrn Völlner für ihre großen Verdienste um die Kunstszene am Hochrhein verbal zu danken und allen Mitgliedern des Malkreises Tiengen,
die nunmehr zehn Jahre unermüdlich an sich gearbeitet, mangels jeglicher Unterstützung größere finanzielle Opfer gebracht
und in freundschaftlicher Verbundenheit und gegenseitiger Kritik Vorzeigenswertes geschaffen haben, Anerkennung und Respekt zu zollen.
Ich wünsche Ihnen, verehrte Zuhörer, ein ersprießliches Betrachten der annähernd einhundert ausgestellten Bilder,
die an- und für sich sprechen und nicht der Krücke des Wortes bedürfen.
Dem Malkreis Tiengen wünsche ich – verbunden mit herzlichen Geburtstagsgrüßen – eine gut besuchte Ausstellung und
noch mindestens weitere zehn Jahre produktiven Schaffens, seien sie nun relativ lang oder relativ kurz.
Und vielleicht findet sich in den Räumen der Zunft oder der Kaplanei – ohne dass wir einen einmaligen Schöpfungsakt zerstören – gar eine Badewanne,
in der wir den Wein zum festlichen Umtrunk kühlen können.«
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